Kostproben aus den letzten Jahren

Der auffliegende Schwan – Kunstwege im Grugapark

Ich laufe schneller und schneller.
So schnell und weit, wie meine Füße mich tragen.
Immer und immer wieder setze ich den einen Fuß vor den anderen.
Mit jedem Schritt fühle ich mich stärker.
Fühle ich mich freier.

Ich schaue nach vorne und nicht zurück.
Betrachte meinen letzten Schritt von Angesicht zu Angesicht.
Ich öffne meine Flügel.
Spanne sie so weit, wie ich nur kann.
Ich stoße mich ab.
Meine Füße verlassen den Boden.
Ich fliege.

Meine Flügel schlagen passend zur Melodie des Windes.
Er umspielt meine Form.
Meinen Hals.
Meinen Körper.
Ich recke mein Gesicht zur Sonne.
Sie lässt meine Federn glänzen.
Mich erstrahlen.
Ich gleite durch die Lüfte.
Federleicht.
Schwerelos.

Ich genieße den Augenblick.
Die Harmonie.
Die Freiheit.


Johanna Schwermer
 


Das alte Café

Jedes Mal, wenn ich in dies kleine Café an der Ecke gehe, fühle ich mich frei. Es ist nicht besonders bemerkenswert, der Kaffee schmeckt nicht schlecht und sie haben eine nicht zu unterschätzende Auswahl von Kuchen und Torten aller Art, doch alles in allem ist es nur ein kleines, normales Café. Diese Normalität ist es, die ich ersehne; ganz gleich, was in der Außenwelt passiert, dies ist ein Ort, an den man sich zurückziehen kann. Ich betreibe keine Weltflucht, manchmal brauche ich einfach eine Pause, wenn das Leben und die Welt mal wieder zusammenzubrechen scheinen. Ein Mensch in einem Café ist unsichtbar, wenn er sich nicht absichtlich auffällig macht: Man sieht ihn, doch nimmt ihn nicht wahr. Gleich am Eingang des Cafés hängen drei Bilder von dicken Perserkatzen in ovalen Rahmen. Die Augen der zerknautscht aussehenden Tiere in den Ölgemälden scheinen einen zu verfolgen, ab dem Moment, in dem man den Raum betritt. Altmodische Sessel und Sofas bilden die Sitzgelegenheiten, wahrscheinlich sind sie sogar Antiquitäten, abgewetzt wie sie sind. Viel Kundschaft hat das Café nicht und sofern man nicht zu zweit oder mit noch mehr Begleitern unterwegs ist, unterhält sich hier auch niemand. Die Besitzerin muss die Tochter, Enkelin und Urenkelin der vorherigen Besitzerinnen sein, es ist erschreckend, wenn man sich einmal die alten Fotos ansieht, die hinter der Theke hängen; sie sieht genauso aus, wie die Damen auf den Schwarz-Weiß-Bildern, sie ist ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten, nur die Frisur sieht anders aus. Das ganze Café wirkt, als wäre es irgendwie in der Vergangenheit steckengeblieben. Eines Tages hatte ich einen Zeitungsstapel in einer Ecke gefunden; Ausgaben von 2008 lagen dort, aber auch Zeitungen aus den sechziger Jahren, eine Ausgabe des ,,Stürmers‘‘, ebenso wie Blätter von vor der Gründung des Kaiserreichs. Eine Berliner Zeitung von 1814 war die älteste. Ich gehe immer noch dorthin, denn so unheimlich der Stillstand der Zeit sein mag, so viel entspannter und behaglicher wirkt diese kleine, isolierte Welt außerhalb des Alltags. Also, kommst du mal mit mir?

David Czyborra 
 



Das Mitternachtsgespräch mit meinem Notizblock

Du hast zu mir gefunden, nach all der Zeit. Was sagt das über dich aus? Was sagt das über mich aus? Sagt es überhaupt etwas aus? Ich habe Angst, etwas Falsches zu schreiben. Aber was ist schon wirklich falsch? Die Bleistiftmine kratzt über deine unbeschriebenen Seiten, als Aufgabe meine Gedanken zu vervollständigen, sie aufzuschreiben, zu formulieren. Ich selbst kann es nicht.
Wer weiß schon, wer er ist? Müssen wir das? Muss ich mich definieren und ausdrücken? Beschränken? Ich bin so viel und gleichzeitig ein Nichts in den Weiten der Galaxie, ein kleiner Punkt einer traumhaft zerstörerischen Fantasie.
Ich möchte auf die Reise gehen und suchen, ohne finden zu müssen, denn der Anfang ist das Ende, oder umgekehrt? Sei mein Begleiter! Sei der Ursprung neuer Geschichten in neuen Welten, die dich verzaubern und versinken lassen, in Tiefen, die dir unbekannt noch unbedenklicher erscheinen als die Träge der Gewohnheit. Ich bin all das, was sich auf Papier durch meine Hand ergießt, geformt von Worten und Gedanken, die das ewige Rätsel der Identität verschlüsselnd geheim halten.
Sie existiert, oder ist nur ein dunkles Konstrukt der Menschheit, die interpretiert und verfälscht, manipuliert und belügt, dessen wahre Geschichte wir nie erfahren werden. Lass uns unsere eigene schreiben, die nur wir zu erzählen wissen, in dem Meer von Menschen, die beeinflussen und teilnehmen wollen, aber nur als Zuschauer zu verstehen versuchen.
Wer sind wir, wenn keiner zuschaut? Ich bin allein, doch niemals einsam in bester Gesellschaft meiner Gedanken, die mich beleben und ermutigen, das große Abenteuer zu wagen, mit dir als mein leeres Heft der Identität.

Daria Goorißen



Der Zuschauer

Er steht hinter dem Glas, schaut unablässig auf die Welt
Die so nah da vor ihm liegt, über ihm das Himmelszelt
Und ist sie echt, doch wie ein Schauspiel liegt sie unberührt von ihm
Denn er, er kann sie nicht erreichen, keine Kraft ist ihm verlieh’n
Noch zu tun den letzten Schritt und mitten in die Welt zu geh’n
Die so vertraut, täglich so nah, und so muss er dort dasteh’n
und zuseh’n.
Wie ein Zuschauer, der niemals als er selbst gesehen wird,
dessen Stimme nie erklingt und dessen Antlitz mit ihm stirbt.
Weil sich niemand jemals mehr an ihn erinnern kann,
Weil er der Zuschauer nur war und da ein Leben lang, doch dann
Dann schließlich ist er fort doch unbemerkt und ungeseh’n
Denn er, er lebte mit der Welt, die Welt doch lebte ohne ihn.
Denn die Schauspieler, die spielen mit und ohne Publikum
Und so steht er da, der Zuschauer, und reckt sich, macht sich krumm
Macht sich bemerkbar doch anscheinend ist die Welt daran gewöhnt
Dass er nicht wichtig war, nie lachte, sich verstritt oder versöhnt
Nie ein Teil von dieser Welt, nur ein Schatten, nur ein Schema
Nie zu greifen, nie zu fassen, nichts zu geben, nichts zu nehmen
Nur den Anblick nahm er sich, in sich auf saugte er ihn
Als das einzige das er von der Welt bekam, und ging
War er doch wohl nur ein Geist, unbemerkt und unerkannt
Und so schweigend wie er kam, so still wieder verschwand
Der Zuschauer.

Maike B. Scheffrahn



„Das ist mein Fenster. Eben bin ich so sanft erwacht. Ich dachte, ich würde schweben.“
Text nach „die Liebende“ von Rainer Maria Rilke


Es gibt Momente im Leben, die lassen einen die Luft anhalten. Ganz leise innehalten. Ich schwebe nicht mehr. Sehnsüchte und Ängste klar vor dem geistigen Auge in der Dunkelheit. „Bis wohin reicht mein Leben und wo beginnt die Nacht?“ Wovor muss ich mich fürchten? Wer bin ich und wo ist mein Herz? Es ist der verlorene Teil. „Ich könnte meinen, alles wäre noch Ich ringsum.“ Aber ich meine es nur. Ich habe mich verloren. Mein Herz ist durchsichtig geworden. „durchsichtig wie eines Kristalles Tiefe, verdunkelt, stumm.“ Ich möchte ihn erreichen. Ihn halten. Ihn lieben und geliebt werden. Doch in der Nacht wird mir klar, dass dies nicht möglich ist. „Ich könnte auch noch die Sterne fassen in mir, so groß scheint mir mein Herz.“ So kristallen, aber „so gerne ließ es ihn wieder los, den ich vielleicht zu lieben, vielleicht zuhalten begann.“ Ich möchte um mich herum ich sein. Doch „fremd wie nie beschrieben sieht mich mein Schicksal an.“ Ich muss mein Herz zurück bekommen. Diese unendlich zu sein scheinende Leere in mir loslassen. „Was bin ich unter diese Unendlichkeit gelegt“? Was ist mit mir geschehen? Mein Herz hat mich zu ihm gezogen. Durch mein Fenster sehe ich die Welt. Ich höre es. „Rufend zugleich und bange, daß einer den Ruf vernimmt und zum Untergang in einem Anderen bestimmt.“ Ich frage mich, wie ein Mensch so was ertragen soll. Und wieder einmal ist Nacht. „Das ist mein Fenster. Eben bin ich so sanft erwacht. Ich dachte, ich würde schweben.“

Anna-Lena Gabriel



Ich bin der Geist...

Ich bin der Geist, der stets verneint
Von außen groß, von innen klein
Kein Überflieger, kein Gewinner
Allgemein bekannt als Spinner
Mit vielen Sorgen, vielen Zweifeln
Und der Gabe, stets zu scheitern
Fehler ohne Grenzen, Reih an Reih
Glück geht rasend schnell vorbei
Ein Herz aus Stein
Schaut nicht hinein
Kein Licht in Sicht
Pessimismus wird zur Pflicht
Doch in diesem Augenblicke halt ich ein
Will ich das wirklich sein?
Will ich nur Trübsal blasen
Gute Geister stets begraben?
Will ich Hass an meine Seele lassen
Und konsequent das Leben hassen?
Will ich finster denken, dunkles sinnen
Und lass die Schwermut noch gewinnen?
Ich bin und bleibe Herr der Lage
Ich versüße meine Tage
Ich versüße mich und meine Welt
Werde noch zu meinem eig’nen Held
Es gibt kein Schicksal, das mich quält
Denn ich hab mich selber auserwählt
Ich hab mich auserwählt als Mensch, der wachsen kann
Gehe mit mehr Frohsinn an die Sachen ran
Und so sähe ich die Saat
Ich bin der Geist, der stets bejaht

Luca Saskia Wagner



Das Leben ist nicht schlecht

Nicht lang ist es her,
da wünscht` ich mir sehr
ein Schloss zum drin Wohnen,
mit Thron zum drauf thronen.
Die Liebe des Lebens,
die sucht` ich vergebens.

Nicht lang ist es her,
da wünscht` ich mir sehr,
ein Land zum Regieren,
`nen Spruch gegen`s Frieren,
einen eigenen Park
und jeden Tag
das Essen, das ich mag.

Nicht lang ist es her,
da wünscht` ich mir sehr,
ein Pferd zum drauf reiten,
und vielleicht den Mount Everest zu beschreiten,
mehr Frieden für die Welt
und natürlich mehr Geld.

Ich strebte nach mehr Ehre, Ruhm und Verstand.
In meinen Träumen mehr und mehr verrannt,
führte ich ein Leben,
wie man es eben
von Tagträumern so kennt
-wenn man welche kennt-

Und wie ich mir so dachte,
„Ganz sachte, gaaanz sachte.
Vielleicht hat es keinen Zweck
Die Illusionen müssten weg.“,
da kam mir der Gedanke:
Ich bau` mir selbst `ne Schranke.

Denn wer sich ganz verliert in Träumen,
wird die Realität versäumen.
Drum lasset uns nicht klagen,
das schlägt bloß auf den Magen.

Das Leben ist nicht schlecht!
Es ist nur keinem recht.
 
Lisa Schwörke